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© Andreas Henn für DIE ZEIT
Handeln für die Menschlichkeit: Marion-Dönhoff-Preis 2025 würdigt Internationales Komitee vom Roten Kreuz und EinDollarBrille e. V

Hinsehen, wo Leid herrscht, auch wenn es wehtut. Besser noch: Hingehen, um es zu lindern. Mit diesem Appell und beeindruckt von leuchtenden Vorbildern wurden hunderte Gäst:innen am 30. November aus dem Hamburger Schauspielhaus in den 1. Adventssonntag entlassen. Vorausgegangen war die 23. Verleihung des Marion-Dönhoff-Preises, der „für internationale Verständigung und Versöhnung“ vergeben wird – ein Ziel, das seit seiner Einführung im Jahr 2003 wohl nie so wichtig und herausfordernd war wie heute.

Der Hauptpreis wurde an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) vergeben. Den Förderpreis erhielt der Verein EinDollarBrille e. V. Die Auszeichnungen würdigen somit einerseits herausragenden Einsatz für die Menschlichkeit in institutionalisierter Form und andererseits humanitäres Engagement aus der Zivilgesellschaft. Wie sehr wir beides brauchen – individuell handelnde Menschen ebenso wie international legitimierte Organisationen und Rechtsgrundlagen – wurde an diesem Vormittag in besonderem Maße spürbar.

Durch das Programm führte die Journalistin Julia-Niharika Sen. Musikalisch untermalt wurde es von Francesco Maccarrone am Klavier, Jakob Solle am Violoncello und Eva Wetzel an der Violine. 

Mit dem IKRK werde „eine der segensreichsten Hilfsorganisationen der menschlichen Geschichte“ für ihren „einzigartigen Dienst für die Menschlichkeit“ ausgezeichnet, erklärte der Jury-Vorsitzende Matthias Naß in seinem Grußwort. Der Verein EinDollarBrille e. V. wiederum zeige, wie „Mitmenschlichkeit auf geniale Weise praktisch“ wirken könne.

Brillen als Schlüssel für Teilhabe: Förderpreis für den Verein EinDollar Brille e. V.

Weltweit leben fast eine Milliarde Menschen ohne Zugang zu einer Brille – und damit ohne die Möglichkeit, ihre Umgebung scharf zu sehen, zu lernen oder am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Martin Aufmuth hat diese Information nicht losgelassen. Im Keller seines Reihenhauses entwickelte der Mathe- und Physiklehrer eine günstige Brille samt kompaktem Gerät, um sie ohne Strom herzustellen. 2012 gründete er den Verein, der seither über eine Million Menschen in elf Ländern in Asien, Afrika und Südafrika mit Brillen versorgt hat. Lokale Fachkräfte übernehmen vor Ort Fertigung und Vertrieb der Sehhilfen – so sind bereits 520 Arbeitsplätze entstanden. Inzwischen wurden über 2,6 Millionen Sehtests durchgeführt und ein Ausbildungskonzept für augenoptisches Fachpersonal entwickelt.

„Aus Sehkraft wird Schaffenskraft.“ Brillen ebnen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben

Eckart von Hirschhausen betonte in seiner Laudatio, wie wichtig Investitionen in die Gesundheit des globalen Südens seien – neben moralischen auch aus ökonomischen Gründen. Eine Brille verändere die ganze Biografie, „aus Sehkraft wird Schaffenskraft“, so der Arzt und Wissenschaftsjournalist, der Martin Aufmuth und seinem Verein seit Jahren verbunden ist. Dank mutigen Menschen wie ihm, die handeln und Hoffnung schenken, gingen Kinder „sehenden Auges ihrer Zukunft entgegen“.

„Als Einzelner hat man oft viel mehr Möglichkeiten, etwas zu verändern, als man denkt“, sagte Martin Aufmuth, der sich sichtlich über diese Selbstwirksamkeit freute – über das, was aus der Empörung über Ungerechtigkeit heraus entstehen kann, „wenn man einen Vorsatz gründlich angeht“: eine weltverändernde Kraft, entstanden aus einer einfachen Idee. 

Hüterin des humanitären Völkerrechts: Hauptpreis für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz 

Diese weltverändernde Kraft bezeugt auch die Geschichte der Institution, die mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde: Seit seiner Gründung 1863 in der Schweiz hat das IKRK in zahlreichen Kriegen humanitäre Hilfe geleistet, Millionen Verwundete und Gefangene versorgt, Vermisste zusammengeführt – und die Grundlagen des Völkerrechts gelegt. Aus einer zivilgesellschaftlichen Initiative einzelner Menschen ist eine international anerkannte Körperschaft mit völkerrechtlichem Mandat gewachsen, die überwiegend von Staaten finanziert wird und als neutrale Partei in Konflikten agiert.

„Krieg herrscht!“ stellte Serap Güler, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, in ihrer Laudatio auf das IKRK fest, und betonte dessen zentrale Rolle als Wächterin über die Regeln im Krieg. Es gelte gerade heute, da die vom IKRK initiierten Genfer Abkommen zunehmend ignoriert werden, diese zivilisatorischen Errungenschaften zu verteidigen, das Völkerrecht „nicht nur zu respektieren, sondern es weiterzuentwickeln“. „Krieg muss in die Schranken des Rechts verwiesen werden“, forderte Güler. Mirjana Spoljaric Egger, der Präsidentin des IKRK, versicherte sie, das Auswärtige Amt stehe dafür, „an Ihrer Seite“.

„Das Recht ist nur so stark wie das politische Gewicht, das ihm beigemessen wird.“ Globale Initiative will Völkerrecht stärken

Gerade aus Kolumbien zurück, wo sich die humanitäre Lage bedrohlich verschlechtert, schilderte Spoljaric Egger in ihrer Dankesrede eindrücklich ihre Erlebnisse, auch von Reisen nach Gaza und Sudan. Die Zahl bewaffneter Konflikte habe sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Der Bedarf an humanitärer Hilfe steige, doch finanzielle Mittel werden gekürzt. „Das Recht ist nur so stark wie das politische Gewicht, das ihm beigemessen wird,“ mahnte sie und verwies auf eine Initiative von fast 100 Staaten, die darauf abzielt, „das humanitäre Völkerrecht politisch in den Vordergrund zu rücken“.

Spoljaric Egger betonte, dass die oft kritisierte Neutralität des IKRK „keine Distanz, sondern die Methode“ sei, die das Arbeiten ermögliche, „wo Emotionen, Hass und Misstrauen sonst jede Tür verschließen würden“. Hannah Arendts Forderung, sich im politischen Handeln nicht von parteilichen Emotionen treiben zu lassen, sondern auf Beziehungen und gemeinsame Bezugspunkte zu setzen, gelte auch für Staaten, deren Bezugspunkt die Genfer Konventionen seien.

Mit Marion Dönhoff erinnerte sie daran, „dass wir alle Verantwortung für die Welt tragen“ und rief dazu auf, gemeinsam für Gerechtigkeit und Menschlichkeit sowie das Völkerrecht als „wichtiges Mosaikstück“ zu wirken. Den Preis widmete die Präsidentin des IKRK „jenen, die tagtäglich unermüdlich Menschen in Konfliktgebieten Hilfe und Hoffnung bringen“. Sie nahm ihn sichtlich ergriffen von der ebenfalls bewegten Moderatorin entgegen, die zuletzt aussprach, was auch im Publikum spürbar war: eine besondere Verbindung mit diesen Tausenden Helfenden, durch welche die Veranstaltung als „Tag der Hoffnung“ in Erinnerung bleibe.

Der Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung ist mit 20.000 Euro dotiert und wird seit 2003 jährlich gemeinsam von der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, DIE ZEIT und der Marion Dönhoff-Stiftung vergeben. Der Hauptpreis würdigt in der Regel starke Persönlichkeiten, deren (Lebens-)Werk in besonderem Maße völkerverbindend wirkt. Geehrt wurden in den vergangenen Jahren u. a. der israelische Schriftsteller David Grossman, die estnische Politikerin Kaja Kallas und Irina Scherbakowa, Gründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial. Mit dem IKRK wurde nach der New York Times (2017) nun zum zweiten Mal eine Organisation mit diesem Preis ausgezeichnet. Der Förderpreis wird stets an eine wohltätige Initiative vergeben, zuletzt etwa an die Hilfsorganisation World Central Kitchen, die Vereine HÁWAR.help e. V. oder Tafel Deutschland e. V.  Zahlreiche Vorschläge für Preisträger:innen kamen auch in diesem Jahr aus der Öffentlichkeit. Mehr zum Marion-Dönhoff-Preis lesen Sie hier.

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