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© ZEIT STIFTUNG BUCERIUS / Laura Müller
Vom „Du-Hören“ und „Ich-Senden“: Wie gelingt aufrichtiges Zuhören in der Politik?

„Danke, dass Sie mir zuhören“, sagte Manuel Hartung, Vorstandsvorsitzender der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, zur Begrüßung an diesem Abend in der Bucerius Law School. In Kooperation mit dem Studium generale hatten wir in ein restlos ausgebuchtes Auditorium gebeten, um mit Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, und Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben über die „Kunst des Zuhörens“ zu diskutieren. Teilnehmen vor Ort konnten alle Interessierten, die einen der begehrten Plätze im größten Hörsaal der Hochschule ergattert hatten. Moderiert wurde der Abend von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien Globaler Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt.

Von „Gesprächsklimakrisen“ und der „Sehnsucht nach ungeschminktem Klartext“

Dank für das Zuhören – ist dies nötig? Ist aufrichtiges Interesse am Gegenüber nicht eine Selbstverständlichkeit in einer echten Debatte? Ganz so einfach ist es nicht. „Früher war es schwer zu senden, heute ist es schwer zu empfangen“, legte Bernhard Pörksen seine Sicht auf den Status des Zuhörens in deutschen Gesellschaften dar. „Früher waren Informationen knapp, heute ist Aufmerksamkeit knapp.“ Christoph Gottschalk, der diesen Abend gemeinsam mit der Stiftung und dem Studium generale der Bucerius Law School kuratiert hatte, sprach in seinen Einleitungsworten von einer „Gesprächsklimakrise“ und von der „Sehnsucht nach dem ungeschminkten Klartext“.

Ein Grundproblem beim Zuhören, so der Medienwissenschaftler Pörksen, läge dazu in uns allen: „Menschen hören am liebsten sich selbst“. Auch in seinem neuen Buch „Zuhören: Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“, um das es ebenfalls an diesem Abend ging, beschreibt er dies als „Schule der Wahrnehmung“, die auch mal ein Zögern erlaubt und gerade damit Offenheit ermöglicht. „Wie geht geistige Offenheit unter erschwerten Bedingungen?“, fragte Bernhard Pörksen in das gebannt zuhörende Auditorium.

„Zuhören“ vs. gute Headlines: Welche Aufgabe hat unabhängiger Journalismus?

Entsprechend ergaben sich an diesem Abend nicht nur Fragen zum Zuhören, sondern auch allgemeinere Fragen zum Diskurs, zum Streiten. Nicht das Zuhören, sondern das „Du-Hören“ scheine nicht mehr zu funktionieren, so Moderatorin Deitelhoff – stattdessen seien wir vielmehr auf das „Ich-Senden“ fokussiert. Im Zuge dessen sprach das Panel auch über die Rolle und Aufgabe des Journalismus. Es gebe einen Moment, indem sich vor allem Politiker:innen entscheiden müssten, ob sie einen verwundbaren Moment gegenüber Medien zeigten und zur Verfügung stellten. Werde dies ermöglicht, folge oft ein von Agenda getriebenes „Zuhören“, so Pörksen, „getrieben von der Gier, getrieben von dem Versuch, Fallhöhe zu konstruieren. (…) Ich bin der Auffassung, dass – mediengeschichtlich gesprochen – Journalismus jetzt den allerletzten Moment hat, um sich in Richtung von Dialogizität und gesellschaftlichem Miteinander zu öffnen“, so der Medienwissenschaftler. „Ich habe die letzten zehn bis 15 Jahre damit verbracht, Qualitätsjournalismus in seiner Kratzbürstigkeit, seiner Sperrigkeit und seiner Distanz zu allem und jedem zu verteidigen. Und doch wird es mir manchmal schier unheimlich.“ Auch Wolfgang Schmidt hält es bei der journalistischen Begleitung von politischen Prozessen für ein Problem, dass es häufig weniger darum gehe, was im Bundeskanzleramt „gemacht“ würde und stattdessen die Berichterstattung häufig an der Oberfläche verbleibe – und das Zuhören „unter-ausgeprägt“ sei. Er könne sich selbst nicht freimachen von einer dystopischen Grundstimmung. Dennoch betonte er sein Verständnis und seinen Einsatz für Journalismus: „Weil wir auch auf [Journalist:innen] angewiesen sind. Um mit Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren, brauchen wir ja – trotz Social Media, trotz der Möglichkeit, direkt Kontakt aufzunehmen – weiterhin diesen Transmissionsriemen. Und ich glaube auch, dass er für die Demokratie unverzichtbar ist und deshalb möchte ich ihn auch stärken.“

Zuhören auf Social Media: Was fehlt, ist die User:innen-Gewerkschaft

Moderatorin Deitelhoff verwies im Gespräch auch auf Grenzen, die in neueren „Räumen des Zuhörens“ im Widerspruch zueinander stünden. Ein Beispiel, das diese Gegenteile in sich vereine, sei die Entwicklung um die vom Tech-Milliardär Elon Musk aufgekaufte Plattform X – hier hatten sich im vergangenen Jahr immer mehr Medien, Verbände und zivilgesellschaftliche Organisation aufgrund der radikalen und desinformativen Inhalte auf der Plattform zurückgezogen, unter ihnen auch wir als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. In diesem Raum sage man aktiv: „Wir wollen nicht mehr zuhören!“, so Deitelhoff. Politiker:innen aber sind in der Mehrzahl geblieben. Individualistische Wege seien ohnehin keine Lösung für systemische Probleme, schlussfolgerte Bernhard Pörksen. Das Panel diskutierte hierzu kontrovers, ebenso wie zum Plädoyer Pörksens, soziale Netzwerke nicht zu verstaatlichen, aber von Werbeeinnahmen zu befreien: „Sie können Kommunikation nicht skalieren, ohne sie zu ruinieren“. Es fehle eine unabhängige Institution, die die Interessen von Nutzer:innen vertritt, eine Art „transnationale Nutzer:innen-Gewerkschaft“. Wir seien im allgemeinen Verhalten zu sehr geprägt von einer Dramatik, vergleichbar zu US-amerikanischen TV-Serien, so Wolfgang Schmidt. „Was ihr Streit nennt, nennen wir Demokratie“, habe ihm ein Freund aus der Schweiz zuletzt ans Herz gelegt.

Anschließend an die Diskussion stellte auch das Publikum Fragen – Zuschauer:innen wollten wissen, wie am besten zu handeln sei, wenn Zuhören nicht mehr funktioniere, oder ob Zuhören von manchen Menschen auch als „Schwäche“ wahrgenommen würde. Wolfgang Schmidt kritisierte dabei etwa  das ihm zufolge unauthentische Zuhören „auf Augenhöhe“ in manchen Politikbereichen – dies sei ein Anbiedern, mit dem Kolleg:innen es versäumten, sich mit eigenen Ideen aufzustellen und für diese einzustehen. Dann, so der Politiker, hätten Wähler:innen vielmehr die Gelegenheit, selbst zu sagen „dann wähle ich ihn eben nicht“. Auch zur Inklusion junger Menschen in die Fragen des Zuhörens wollte das Publikum mehr wissen. Christoph Busch, Gründer des Hamburger Projekts „Zuhör-Kiosk“ an der Emilienstraße, war ebenfalls im Publikum. Mit ihm, der mit seinen Kolleg:innen wöchentlich Menschen zuhört, wenn sie über ihre ökonomischen und persönlichen Probleme sprechen, diskutierten Pörksen und Schmidt über den Unterschied einer „Profi-Ebene“ des Zuhörens und dem persönlichen, vertrauten Schenken von Gehör.

 

Die Kunst des Zuhörens – oder doch die Kunst des „Handelns“?

Aufrichtig streiten, entschlossen handeln – das ist nicht nur unser Leitsatz als Stiftung, sondern war vielleicht auch Inspiration für Nicole Deitelhoffs abschließendeFrage in der Diskussion. An unterschiedlichen Punkten an diesem Abend ging es auch um die Kritik, dass zu viel über das Zuhören und die Art der Kommunikation von Menschen gesprochen würde statt über das, was sie eigentlich sagen und wie sie handeln. Müssten wir hier also nicht noch viel mehr in die Praxis kommen? Während Bernhard Pörksen zu einem finalen Urteil über diese „wissende Ignoranz“ schwankte, widersprach Wolfgang Schmidt hart: „Ich nenne diese Sehnsucht die nach der „Zauberstabpolitik“.(…)“ Der Ukraine-Krieg oder das Beispiel der Abstimmung zum Antrag einer verschärften Migrationspolitik, die am selben Abend im Bundestag stattgefunden hatte, seien Beispiele dafür, wie manche Politik suggeriere, dass komplexe Fragen mit einer einzelnen Handlung lösbar sind. „Die meisten von uns haben schon so ein Gefühl, dass es nicht so einfach ist“, sagte Schmidt. „Aber es ist wahnsinnig verführerisch, so zu tun, als ob man nur wollte. (…) Unser Job ist, eine Gesellschaft, in der es interessanterweise zu den meisten Fragen unterschiedliche Ansichten gibt, irgendwie versuchen zusammenzuhalten.“

Zuhören und Handeln – letztendlich müssten beide Fähigkeiten individuell gestärkt werden und dennoch Hand-in-Hand gehen. Nicole Deitelhoff hatte schon zu Beginn des Abends aus dem Schlusskapitel von Bernhard Pörksens Buch zitiert: „Wirkliches Zuhören“ sei „vielleicht nichts für die große Politik“, schreibt Pörksen. „Nichts für die Arena der Talkshows, nicht für den Austausch von vorab einstudierten Fertig-Antworten, nichts für das aufeinander Eindreschen in sozialen Netzwerken.“ „Ich verstehe Zuhören als eine Metapher für Offenheit“, ergänzte der Medienwissenschaftler an diesem Abend im Auditorium der Bucerius Law School, „als ein Bild für innere Gastfreundschaft. Als ein Versuch, das ,Andere‘, das ,Fremde‘ in seiner Fremdheit und Andersartigkeit und in seiner Schönheit irgendwie zu beheimaten – und an sich heranzulassen.“

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