Wie geht es weiter mit der ZEIT STIFTUNG? Diese Frage stellte sich im Herbst 1995, nachdem unser Stiftungsgründer Gerd Bucerius verstorben war – am 29. September vor 30 Jahren. Manfred Lahnstein, Bundesminister a. D. und damals Mitglied des Kuratoriums, erinnert sich: „Etwa zehn Tage nach Bucerius‘ Tod rief mich Helmut Schmidt an und meinte: ‚Ich sitze hier mit Reinhard Mohn. Wir meinen, Du solltest den Vorsitz im Kuratorium übernehmen. Du bist der Jüngste unter uns. Und wir brauchen Kontinuität in der Stiftung.‘“
Lahnstein übernahm die Aufgabe – und damit auch eine große Verantwortung gegenüber dem Verlegerehepaar. Welche Rolle spielte ihr Erbe in der Stiftungsarbeit der vergangenen 30 Jahre? Was bedeutet Kontinuität? Und wie würden Gerd Bucerius und seine Frau Ebelin heute auf die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS blicken? Darüber haben wir mit Manfred Lahnstein und weiteren Weggefährt:innen gesprochen.
Zwei Verleger mit „Berlin-Meise“
„Buc“, so wurde Bucerius liebevoll unter Freunden genannt, war nicht nur unser Stifter, sondern auch ein ins unternehmerische Risiko gehender Verleger. Seine mutigen Schritte – etwa als er sich entschied, seinen Anteil an dem damals zweitgrößten deutschen (von ihm gegründeten) Verlag Gruner + Jahr gegen Bertelsmann-Anteile einzutauschen – sind die Grundlage des Kapitals, mit dem die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS heute großzügig fördern kann. Wie es dazu kam, wie sich das Verhältnis zu Verleger-Konkurrent Axel Springer (der 2025 seinen 40. Todestag hatte) über die Jahrzehnte entwickelte, warum Ebelin die Wogen glätten musste und viele weitere spannende Einblicke in die Beziehung zweier großer „Altonaer Verleger“„mit Berlin-Meise“ hat unser Kollege Axel Schuster aufbereitet. Zum Nachlesen HIER.
Von akademischer Spitzenqualität und Kunst-Begeisterung
„Es gab immer einen Bezug zu Bucerius“, sagt Lahnstein mit Blick auf die großen Entscheidungen, die unter seinem Vorsitz getroffen wurden. Da war zum Beispiel die Gründung der Bucerius Law School im Jahr 2000. Schon zu Bucerius’ Zeiten sei es ein Anliegen der Stiftung gewesen, durch eine private Hochschule den Modernisierungs-Wettbewerb der staatlichen Universitäten zu initiieren und akademische Spitzenqualität in Deutschland zu fördern – etwa mit der Finanzierung der ersten deutschen Privatuniversität Witten/Herdecke. „Eine wissenschaftliche Spitzeneinrichtung zur Ausbildung von Juristinnen und Juristen ergab sich unmittelbar aus seinen Interessen“, sagt Lahnstein. Immerhin hatte Gerd Bucerius selbst Rechtswissenschaften studiert und während seines Referendariats kurz als Hilfs-Richter und über zehn Jahre als Anwalt praktiziert.
Neben den Wissenschaften standen auch die bildenden Künste in der Stiftungssatzung. Lahnstein erinnert sich: „Im Haus von Ebelin und Gerd Bucerius hingen Original-Bilder von Andy Warhol, diese berühmten Marylin-Monroe-Porträts. Und auch in ihren Büros im Verlag gab es so schöne Grafiken. Sie müssen ein wirkliches Interesse an bildender Kunst gehabt haben.“ Das breite künstlerische Interesse reichte von Auftragskunst von Christo bis zu mehr als 50 Picasso-Lithographien. Bereits in den Sechzigerjahren hatte Bucerius den Ankauf von Kunst durch die Stiftung Hamburgische Kunstsammlungen großzügig unterstützt.
Nach vielen kleineren Projekten hatte der geschäftsführende Vorstand Michael Göring schließlich die Idee, auch in diesem Bereich eine eigenständige Einrichtung zu gründen. So entstand mit der Projektfördernummer 455 das Bucerius Kunst Forum, das 2002 zum ersten Mal seine Türen für Hamburger Kunstinteressierte öffnete.
„Das Bucerius Kunst Forum würde Ebelin sehr gefallen“
Ein Ausstellungshaus und eine private Stiftungshochschule tragen ihren Namen – doch selbst besuchen konnten Ebelin und Gerd Bucerius die Einrichtungen nie. Brigitte Lichtenauer-Blumenfeld, eine langjährige Freundin des Ehepaares, ist sich dennoch sicher: „Beide Institutionen würden Ebelin sehr gefallen. Das Kunst Forum noch mehr als die Law School.“ Warum? „Der unmittelbare Eindruck der Kunst war ihr wichtiger als das Vergeistigte.“
Und ihr Mann Gerd? „Er wäre stolz auf die Law School gewesen“, glaubt sein Nachfolger Manfred Lahnstein. Aber auch: „Die Stiftungsarbeit heute würde er sich gründlich erklären lassen.“ Klar, die Zeiten haben sich geändert. Die Welt ist nicht mehr dieselbe wie 1995 und einige der heute geförderten Projekte hätte es damals wahrscheinlich nicht gegeben.
Doch Gerd Bucerius war ein offener Mensch, so beschreibt es unter anderem Benedikt Erenz, der als ehemaliger ZEIT-Redakteur beruflich mit dem Verleger zu tun hatte: „Er war interessiert am neuen Zeitgeist, immer neugierig auf Neues.“ Den heutigen Mitarbeitenden würde er vermutlich viele interessierte Fragen stellen. Manfred Lahnstein sagt: „Aber ich bin mir sicher: Am Ende würde er sehr zufrieden sein.“ Und das lassen wir jetzt einfach mal so stehen.
Über die Artikelserie
Am 19. Mai 1906 wurde Gerd Bucerius in Hamm geboren. Am 29. September 2025 jährt sich sein Todestag zum 30. Mal. Seine zweite Ehefrau Anna Gertrud, genannt Ebelin, starb zwei Jahre nach ihm, im Juli 1997. Wir haben die Jahrestage zum Anlass genommen, mit Weggefährt:innen zu sprechen, die sich an Ebelin und Gerd Bucerius erinnern. Wie war der Jurist, Politiker und Verleger Gerd Bucerius als Mensch? Warum war Ebelin Bucerius so wichtig für den Erfolg der ZEIT? Und wie würden die beiden heute auf die Arbeit der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS blicken? Diese und weitere Fragen wollen wir in unregelmäßigen Abständen reflektieren. Weitere Folgen unter HIER (Teil 1) und HIER (Teil 2).
Weitere Informationen zu Ebelin und Gerd Bucerius finden Sie HIER.