Mit Christina Köhler, auch bekannt als Tintin Patrone, hat sich nun die zweite Kunstschaffende im Rahmen der „Staircase Interventions“ dem Treppenhaus des Bucerius Kunst Forums gewidmet und es künstlerisch interpretiert. Mit mehreren Klimaanlage-Attrappen hat sie dort eine eigenwillige Klimazone geschaffen, die die Besucher:innen auf dem Weg in die Ausstellungsräume durchqueren. Patrones Kunstwerk „Condition(s)“ bezieht sich auf ein wesentliches Merkmal westlicher Ausstellungshäuser, in denen Klimaanlagen Teil einer unsichtbaren „Architektur des Wohlbefindens“ sind. In Südeuropa sowie in vielen Ländern des globalen Südens sind sie dagegen oft an Außenwänden angebracht, sind funktionale Zeichen des Alltags und werden immer lebensnotwendiger. Klimaanlagen regulieren aber nicht nur Luft, sondern auch Zugang: Indem sie die Klimaanlagen aus ihrer Verkleidung hervorholt und sie als skulpturale Körper exponiert, will Tintin Patrone Schichten institutioneller Kontrolle offenlegen – über Luft und Raum, aber auch über Wahrnehmung, Geschmack und Deutungshoheit.
Die deutsch-philippinische Sound- und Performancekünstlerin wählt Klang und Darstellungskunst als Ausdrucksformen, da sie für Tintin Patron nicht nur Konzepte darstellen, sondern auch Emotionen, die sie gerne bis in die Grenzen ausreizt. Inspiration für ihre Kunst findet sie in „in liebevollen wie nervigen Zwischenmenschlichkeiten ihres Alltags“. Musik hingegen gibt der Künstlerin die Möglichkeit auszubrechen: In Musik-Performances sieht sie gelegentlich eine Chance, Schubladen in der Kunst zu verlassen und sich in Clubs kreativ auszuleben, ohne sich den zum Teil harschen Bewertungssystematiken des Kunstbetriebs aussetzen zu müssen.
Tintin Patrones Werdegang begann an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Nach ihrem Abschluss blieb sie der Hansestadt treu und schafft von dort aus neben experimenteller Musik auch Kunst zu Fragestellungen von menschlicher Subjektivität und physischer Präsenz. Patrones Installationen, Performances und Konzerte wurden auf den Philippinen, in Deutschland, Belgien, der Schweiz und vielen weiteren Ländern in Europa und in Asien gezeigt.
Nun folgt mit „Condition(s)“ die „Staircase Intervention“ im Bucerius Kunst Forum. Nach der Illustratorin Anna Haifisch ist Tintin Patrone erst die zweite Künstlerin, die das Treppenhaus des Ausstellungshauses bespielt – und die erste Kunststipendiatin der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die diese Aufgabe übernimmt. „Condition(s)“ ist ab dem 8. Oktober zu den regulären Öffnungszeiten des Bucerius Kunst Forums in der Hamburger Innenstadt zu sehen. Im Interview gibt uns die Künstlerin Einblicke in den Entstehungsprozess und die Ideen hinter ihrem Kunstwerk „Condition(s)“.
Was haben Sie als erstes in die Hand genommen, um Ihr Kunstwerk zu beginnen?
Die Umsetzung der Arbeit begann bei einer Tasse Kaffee, glaube ich. Der erste notwendige Schritt war nämlich – neben Planung und Beschaffung aller Materialien – eine Recherche zu Klimaanlagen und deren Beschaffenheiten. Als Objekte mag ich Klimaanlagen sehr.
Welche Möglichkeiten bereitet ein Treppenhaus als Ausstellungsort?
Ein Treppenhaus ist ein besonderer „Off-Ort“. Anders als Flure erfordert es mehr Aufmerksamkeit. Gleichzeitig bietet es durch die Bewältigung jeder Stufe neue Perspektiven und bietet daher immer etwas an. Da die Klimaanlagen wie eine Architektur-Ergänzung funktionieren sollen, sind sie mit der Treppe verwandt. Das Treppenhaus funktioniert im Verhältnis zu meiner Arbeit zudem wie ein Komplize, da die Treppe es ermöglicht, die künstliche Version der Technik von verschiedenen Blickwinkeln aus zu begutachten und sich selbst zu ihr in unterschiedlichen Weisen zu positionieren.
Sie machen mit Ihrem Kunstwerk eine Infrastruktur sichtbar, die in westlich geprägten Gesellschaften oft versteckt oder unsichtbar gemacht wird. Für was steht diese Infrastruktur und warum sollte sie sichtbar gemacht werden?
Die in westlichen Gesellschaften vorhandenen Infrastrukturen sind nur bedingt identisch mit denen in Ländern des Globalen Südens, obwohl diese oft in unmittelbarem Zusammenhang stehen beziehungsweise sich gegenseitig bedingen. Der Klimawandel, der auf den Philippinen unbestreitbar den Alltag und die Nutzung von Klimaanlagen bestimmt, führt dazu, dass das lokale Stromnetz zukünftig kaum noch die steigende Anzahl der Anlagen versorgen kann – ein Kollaps steht bevor. Das Konzept der Regulierung wurde, durch das Missachten der Bedürfnisse unserer natürlichen Umgebung und das gleichzeitige Übererfüllen der menschlichen Grundbedürfnisse, unkontrollierbar. Daher steht diese besondere Maschine in verschiedenster Weise als Metapher für Bedürfnisse, Kontrolle, Möglichkeit und Unmöglichkeit. Ich denke, es ist immer wichtig, Zustände zu hinterfragen, um zu verstehen, wie alles miteinander verbunden ist und Ideen von Verantwortung entstehen können.
Mit Ihrem Kunstwerk kritisieren Sie auch eine Kälte und den oft ausschließenden Charakter im Kunstbetrieb: Wie und für wen ist dieser Ausschluss besonders spürbar? Haben Sie das selbst schon erlebt?
Der Kunstbetrieb hat verschiedene Gesichter und folgt unterschiedlichsten Strategien. Eine Art Kälte macht sich dann breit, wenn das Gegenüber sich nicht abgeholt oder wohl fühlt, wenn bei der versuchten Kontaktaufnahme scheinbar unüberwindbare Hindernisse und Ablehnung zu Gefühlen der Ausgrenzung führen. Wie dann nachreguliert werden kann, ist schwierig zu beantworten. Fragen nach Zugänglichkeit und Ausschluss werden dann verhandelt, oft leider unter Ausschluss der Menschen, die diese Kälte verspüren. Das betrifft zum Beispiel Menschen, die kaum Berührungspunkte mit Kunst haben. Auch in meiner Kindheit waren diese nicht vorhanden, beziehungsweise hatten sie keine nennenswerte Bedeutung in der Erziehung. Wichtig ist es dann, selbst nach Orten zu suchen, die ein Klima des Wohlfühlens generieren. Sehr subjektiv ist diese Suche und das Erkennen der eigenen Bedürfnisse, Ideen und die Möglichkeiten, diese umzusetzen. Oft sind es auch nicht die Orte, sondern Missverständnisse zwischen zwei Unbekannten, die Zugänglichkeit verhindern. Da, wo es jedoch nicht um Missverständnisse geht – hiermit meine ich zum Beispiel die Unterrepräsentation weiblicher Künstlerinnen oder Künstlerpositionen aus dem globalen Süden – müssen wir gemeinsam die Temperatur nachregeln.
Was möchten Sie in den Betrachter:innen Ihres Kunstwerks auslösen?
Mir geht es bei der Arbeit nicht explizit um das Aufzeigen von Missständen oder das Anprangern von Fehlverhalten. Ich möchte mit Humor auf die komplexen Verstrickungen von Zuständen und Bedürfnissen hinweisen und durch irritierende kleine Momente versuchen, selbst einen besseren Zugang zu den großen verwirrenden Baustellen unserer Gesellschaft zu finden.
Welche Assoziationen verbinden Sie selbst mit Ihrem Kunstwerk?
Der gefühlte Temperaturunterschied beim Betreten einer Mall in Manila, Kaufhausmusik. Dann wieder der Schock beim Verlassen der Mall, der Straßenlärm, die Hektik. Von Klimaanlage zu Klimaanlage.
Interview: Anna Kracklauer